Gmeinder-Kaelble PR 610 Planierraupe

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Gmeinder-Kaelble PR 610 Planierraupe


Mit einem damaligen Preis (1959) von sagenhaften 2,- DM gehörte die Planierraupe zu den teuersten Einzelmodellen und kostete damit 50 Pfennige mehr als der Krupp Titan oder auch die vierfache Summe eines VW-Cabriolet.

Das Modell weist eine signifikante Besonderheit auf, die vielen Wiking-Sammlern lange Zeit nicht bekannt war. So bestand die angesetzte Planiereinrichtung etwa im Produktionszeitraum 1959/'60 aus fünf separaten Bauteilen, die miteinander verklebt waren (Version 1): Planier-Querschild, Schubholm links und rechts, Hydraulikzylinder links und rechts. Zu erkennen ist diese fünfteilige Planiereinrichtung an einer sauberen und detailierten Oberflächengravur sowie der Darstellung des Querschildes in einer Formgebung, auf die Kaelble beim Original ein Patent angemeldet hatte. Die fünfteilige Planiereinrichtung wurde mutmaßlich wegen des immensen Montageaufwandes durch ein einteiliges Bauteil ersetzt (Version 2). Diese einteilige Planiereinrichtung zeigt spritztechnisch bedingt eine deutlich unregelmäßige Oberfläche mit Graten, Nahtstellen und Auswerfermarken.

Im Zusammenhang mit der fünfteiligen Planiereinrichtung gab es eine weitere Auffälligkeit: Die bei Wiking typischerweise aus aluminiumfarbig-glänzendem Kunstoffgranulat gespritzen Bauteile wiesen bei diesen Modellen eine deutlich eisenfarbig-matte Oberfläche auf. Hier hatte Wiking offenbar mit der optischen Wirkung einer abweichenden Granulateinfärbung experimentiert.

Die Version II wurde ohne Formänderungen bis ca. 1974/'75 produziert. Im Katalog 1975 war das Modell ohne weitere Kommentierung gestrichen worden, doch in den Katalogen 1976 und '77 wurde es scheinbar unverändert wieder im Sortiment geführt. Wie sich zeigte, war das Formenwerkzeug jedoch um 1975 aufgrund Verschleißes einer Reparatur unterzogen worden. Diese hatte zur Folge, daß die zuvor (vorbildgerechte) hufeisenförmige Zugvorrichtung am Heck einer rechteckigen "Platte" gewichen war. Das mit dem reparierten Formenwerkzeug um 1975 begrenzt gespritzte Kontingent gelangte in den Jahren 1976 bis 1977 in den Handel.

Im Katalog 1979 erschien die Planierraupe erneut im Sortiment, versehen mit der Kommentierung "- mit Dach- " (Version III). Dieser Hinweis war unzureichend! Tatsächlich war die gesamte Form überarbeitet worden bzw. auf Basis des alten Werkzeuges neu erstellt worden. Konstruktiv gab es bei dem dargestellten Gleiskettenlaufwerk eine Änderung von den bisherigen Stahlachsen zur Buchse/Zapfen-Konstruktion (Kunststoff). Dies machte aus Stabilitätsgründen auch eine Änderung der Laufräder erforderlich, die nun im Nabenbereich eine nicht vorbildgerechte Vertiefung zeigen. Die geringfügig verlängerte Bodenplatte verfügt - neben einer veränderten Beschriftungsprägung - über eine Ausparung für die jetzt wieder vorbildgerecht umgesetzte hufeisenförmige Zugvorrichtung.

Für die Adaptierung des transparenten Dachaufsatzes, der bereits 1975 baugleich bei dem Radlader-Modell Nr. 65h/651 Verwendung fand, erhielt das Modell eine Spritzwand vor dem Fahrersitz; links und rechs des Kraftstofftanks wurden zusätzlich Verbreiterungsstege angebracht. Zudem wurde der Tank sowie der Sitzpodest mit Ziersicken versehen, die jedoch mit dem Vorbild nichts gemein haben. Dafür verzichtete man großzügig auf die zuvor noch vorhandene Andeutung der zwei runden Gehäusedeckel oberhalb der Zugvorrichtung. Das bislang filigran ausgeführte Bauteil der Bedienhebel-Einheit wurde durch ein erheblich grober gestaltetes Bauteil ersetzt.

Die bei den Versionen I und II noch effektvoll mittels eines aufgesteckten Schlauchstückes dargestellte Abgasanlage übernimmt bei der Version III ein eingestecktes Kunstoffbauteil, welches nun fälschlicherweise einen Schalldämpfer aufweist. Die geänderte Positionierung (Linksversatz von der Fahrzeugmitte) hingegen ist korrekt und findet ihre Korrespondenz in der neuerlichen Gravur des Abgassammlers auf der linksseitigen Motorenattrappe. Der Kühlerverschlußdeckel fällt bei der Version III erheblich kleiner aus.

Das Bauteil der einteiligen Planiereinrichtung wurde für die Version III gleichfalls umfangreich überarbeitet - wenn nicht gar neu geschaffen: Die Oberflächen zeigen sich mit einer sauberen Gravur, das Querschild erhielt eine Nietenstruktur und Verstrebungen zu den Schubholmen. Abweichungen gibt es auch bei der Gesamtausgestaltung des Bauteiles.

Zur Version III zu bemerken, daß es sich angesichts des Gesamtumfanges der Änderungen eigentlich um ein neues Modell handelt, da sich neben den beschriebenen Detailänderungen auch die Proportionen verändert haben: Die Motorhaube ist deutlich höher und die Kühlermaske deutlich erhabener als bei den Versionen I und II.


Die Details im Bild





Oben: Im Vergleich gut zu erkennen - die Formenänderungen zur Adaptierung des Dachaufsatzes, die Ziersicken am Tank und Sitzpodest sowie die unterschiedlichen Bedienhebel-Einheiten und Abgasanlagen.


Unten: Die Heckansicht der Version III (oben im Bild) mit den Ziersicken auf dem Kraftstofftank, jedoch ohne die Gravur der zwei runden Gehäusedeckel oberhalb der Zugvorrichtung. Im Bild darunter die Version I mit Gehäusedeckeln - auch die Stahlachse ist hier deutlich erkennbar.






Unten: Mit der Version III (links) verschwand auch die mittige Naht bei dem Modell, die auf die vertikale Teilung in Längsachse des Formenwerkzeug hingedeutet hatte. Deutlich wird hier auch die unterschiedliche Positionierung der Abgasanlage.




Unten: Version I mit kurzer Bodenplatte und hufeisenförmiger Zugvorrichtung.




Unten: Version II mit mit kurzer Bodenplatte und rechteckiger "Platte" an der Zugvorrichtung.




Unten: Bei der Neuauflage – Version III – hatte die längere Bodenplatte eine Aussparung für die wieder vorbildgerechte Zugvorrichtung.




Unten: Die unterschiedlichen Laufräder. Bei den Versionen I u. II (oben im Bild) sind sie außen flächig, wogegen sie bei der Version III (unten im Bild) im Nabenbereich vertieft sind. Hier ist auch die Buchse/Zapfen-Konstruktion erkennbar.






Unten: Unterschiede der Planiereinrichtungen der Versionen I u. II:
Version I (rechts im Bild) hat eine breite obere und eine schmale seitliche Schildkante.




Unten: Frontansicht des einteiligen Querschildes Version I (oben im Bild). Darunter die Frontansicht des Querschildes Version III.






Unten: Bei Version I (links im Bild) sind die Aufnahmebuchsen für die seitlichen Schubholme sowie die der Hydraulikzylinder deutlich voluminöser. Die seitlichen Schubholme verjüngen sich zum Schild hin.




Unten: Seitenansicht Version I. Man beachte die saubere Oberflächengravur insbesondere im Bereich der Hydraulikzylinder. Weiterhin wird auf diesen Bildern die im vorstehenden Text erwähnte eisenfarbig-matte Granulateinfärbung bei Variante I erkennbar.




Unten: Seitenansicht Version II. Der Unterschied zur Version I wird nicht nur in der Formabweichung deutlich.




Unten:Version I:






Unten: Version II:






Unten: Version III:






Die modellhistorische Rückblende

Für die meisten Sammler von Wiking-Verkehrsmodellen aus der sogenannten Peltzer-Ära ist es besonders reizvoll, die Modelle in dem engeren zeitgeschichtlichen Kontext ihres jeweiligen Erscheinungsjahres zu betrachten. Denn gerade diese Verkehrsmodelle vermögen auf besondere Weise einen Teil der Zeitgeschichte und des Zeitgeistes widerzuspiegeln.

In diesem Sinne sind der Willys-Jeep "der Besatzungsmacht" (1948) neben der Horch-Limousine (1948) aus der automobilen Glanzzeit eines kurz zuvor in Schutt und Asche versunkenen Deutschlands, das Motorrad mit Beiwagen (1949), der Coca-Cola Getränke-Lkw (1955) nur einige typische Modellbeispiele.

Nicht anders ist es bei dem Modell der Planierraupe.

1959 - in Deutschland "brummt" es. Das Wirtschaftswunder strebt seinem Höhepunkt entgegen. Überall wird gebaut. Auf den Großbaustellen - insbesondere beim Autobahnbau - ist schweres Gerät gefragt. Bei den Baumaschinen geht die Entwicklung weg von den teils skurrilen Provisorien der unmittelbaren Nachkriegsjahre zu leistungsfähigen Spezialmaschinen. Die vielschichtige deutsche Baumaschinenindustrie trägt dieser stürmischen Entwicklung in innovativer Weise Rechnung und erlebt eine nicht mehr wiederkehrende Blütezeit.

Eine "Erste Adresse" für schwere Erdbewegungsgeräte war die Fa. Carl Kaelble im schwäbischen Backnang. Bereits 1939 wurde Kaelble gefordert: Die "Organisation Todt" stellte Kaelble einen amerikanischen "Caterpillar D8-Tractor" als technisches Muster zur Verfügung, um diesen zu analysieren und in der Folge eine eigene Entwicklung zu kreieren. Schon 1940 präsentierte Kaelble die größte bis dato in Europa produzierte Planierraupe - die PR 125. 1951 nahm Kaelble die Produktion der überarbeiteten PR 125 wieder auf - nunmehr unter der Bezeichnung PR 630. Ein Höhepunkt 1954: Kaelble stellt auf der Technischen-Messe-Hannover mit der PR 660 H die erste Planierraupe der Welt mit einer unter Vollast schaltbaren Lamellenkupplung und hydraulischem Drehmomentwandler vor.

Die Lokomotiv- und Maschinenfabrik Gmeinder & Co. im badischen Mosbach stand seit Ende der 1920er Jahre in engem Kontakt zu Kaelble. Nach dem Tod von Anton Gmeinder im Jahre 1942 übernahm Kaelble sämtliche Firmenanteile.

Der Typ PR 610, der für das spätere Wiking-Modell Vorbild stand, wurde von Kaelble 1952 für das Gmeinder-Werk in Mosbach entwickelt und dort gefertigt, daher die Bezeichnung Gmeinder-Kaelble. Parallel fertigte Kaelble in den Stammwerken Planierraupen anderer Baumuster, die lediglich den Kaelble-Schriftzug trugen.

Für die Wiking-Modellbauer in Berlin war die Umsetzung des Modelles in mehrfacher Hinsicht eine Herausforderung. Die Planierraupe war die erste Baumaschine in der Produktionsära der sogenannten "verglasten Modelle" und sollte der Auftakt für eine Reihe weiterer gestalterisch anspruchsvoller Modelle (-> 1961: Krupp-Ardelt-Bagger, WM Nr.66) der Baumaschinen-Gattung werden. Erstmalig wurde in dieser Maßstabsklasse ein funktionstüchtiges Gleiskettenlaufwerk imitiert. Hier bestand die Herausforderung darin, daß die Konstruktion auch - oder gerade - in der spielenden Kinderhand Bestand haben mußte.

Der direkte Vergleich des Modelles mit dem Vorbild zeigt, daß Wiking mit den Modellversionen I und II die authentische Umsetzung in beeindruckender Weise gelungen ist. Aus bereits dargelegten Gründen kommt der Version I für den Sammler eine besondere Bedeutung zu. Der Maßstab des Modelles entspricht etwa 1:90.

Die vielfältigen Modelländerungen, die zur Version III führten, sind hingegen als nachteilig anzusehen, was auch nicht durch die Tatsache kompensiert wird, daß Wiking das Modell seit 2005 wieder ohne Schutzdach im Sortiment führt.

Vielleicht entsteht hieraus eine Motivation bei Wiking, zukünftig ein gänzlich neues Modell der "klassischen" Planierraupe entstehen zu lassen. In der vor einigen Jahren offensiv gewordenen Baumaschinen-Klassiker-Szene stehen zumindest einige restaurierte PR 660-Exemplare zum Vermessen bereit ...


Die Daten zum Vorbild

Hersteller: Lokomotiv- und Maschinenfabrik Gmeinder & Co., Mosbach (Baden)
Typ : PR 610
Austattung: Planiereinrichtung mit Querschild (= Bulldozer)
Gewicht (mit Querschild): ca. 11200 kg
Motor : Kaelble GN 110s (Diesel, 6-Zylinder in Reihe, 9700 ccm Hubraum)
Leistung : 100 PS bei 1300 U/m
Baujahr: ab ca. 1952

© Fotos: Lutz Fänger, Reiner Zeltsch